Interview

Rating, Planung, Perspektive – Was der Mittelstand wissen muss - Ein Interview mit Dr. Oliver Everling, Geschäftsführer der RATING EVIDENCE GmbH

Dr. Oliver Everling, Geschäftsführer der RATING EVIDENCE GmbH, zählt seit Jahrzehnten zu den Experten für Ratingfragen. Im Interview erklärt er, warum integrierte Planungsrechnungen für ein gutes Rating entscheidend sind, wo typische Schwächen liegen und wie Unternehmen ESG-Faktoren strategisch nutzen können. Besonders interessant: Everling zeigt, wie ESG den Unternehmenswert beeinflusst – Themen, die er auch in dem Buch „ESG als Treiber von M&A“ mit zahlreichen Mitautoren vertieft.

BOARD:

Welche konkreten ESG-Risiken beeinflussen aktuell das Rating mittelständischer Unternehmen – und wie lassen sie sich in der Planung abbilden?

Oliver Everling:

Zu den relevanten Risiken zählen CO2-Kosten, Energiepreisvolatilität, Lieferketteninstabilität und regulatorische Anforderungen wie die EU-Taxonomie oder das Lieferkettengesetz. Wer diese Risiken ignoriert, sendet ein Warnsignal. Unternehmen sollten Szenarien entwickeln, in denen z.B. CO2-Preise steigen oder ESG-bezogene Finanzierungskonditionen verschärft werden. Gute Planung heißt, diese Risiken frühzeitig zu quantifizieren und mit konkreten Maßnahmen zu begegnen – etwa durch Diversifikation, Partnerschaften oder ESG-konforme Produktentwicklung.

BOARD:

In M&A-Situationen: Wie verändert ESG die Unternehmensbewertung – und wie sollten sich mittelständische Verkäufer oder Käufer darauf vorbereiten?

Oliver Everling:

ESG-Faktoren können heute wertsteigernd oder wertmindernd wirken – je nach Transparenz, Datenlage und Managementfähigkeit. In Due-Diligence-Prozessen fragen Investoren gezielt nach ESG-Indikatoren, Risiken, Maßnahmen und Ratings. Verkäufer sollten daher ESG-Fakten frühzeitig aufbereiten und in ihre Planungsrechnung integrieren. Käufer wiederum müssen diese Informationen kritisch prüfen und eigene ESG-Standards einbringen. Wer als Mittelständler ein ESG-konformes Unternehmen führen oder verkaufen will, braucht eine integrierte ESG-Planung als Teil des Business Case.

BOARD:

Wird ESG im Ratingverfahren künftig verpflichtender Bestandteil oder bleibt es ein Zusatzthema?

Oliver Everling:

ESG ist schon heute ein struktureller Bestandteil professioneller Ratingverfahren – bei Banken, Investoren und externen Agenturen. Die Regulierung – etwa durch die EU-Bankenaufsicht, die ESRS oder Offenlegungsverordnungen – zwingt Finanzinstitute dazu, ESG-Risiken zu bewerten. Für Unternehmen heißt das: ESG wird nicht verschwinden – es wird zum Standard. Wer heute seine Planung, Strategie und Steuerung nicht ESG-kompatibel ausrichtet, wird künftig Nachteile bei Finanzierung, Partnerschaften oder dem Rating erleben. Mein Rat: Jetzt handeln, statt später aufholen zu müssen.

BOARD:

In Ihrem Buch „Rating von Industrieimmobilien“ wird gezeigt, wie Immobilienbewertungen in Ratingprozesse integriert werden. Welche Rolle spielen Industrieimmobilien im Rating mittelständischer Unternehmen – insbesondere bei Planung und Finanzierung?

Oliver Everling:

Industrieimmobilien werden oft unterschätzt – dabei sind sie strategische Vermögenswerte, die im Ratingprozess erhebliches Gewicht haben können. In unserem Buch zeigen wir, dass die Bewertung weit über den Verkehrswert hinausgehen muss. Es geht um Standortqualität, Drittverwendungsfähigkeit, ESG-Konformität und Investitionsbedarf. Besonders in der Planungsrechnung sind Industrieimmobilien entscheidend: Wie wirken sich Instandhaltungskosten, Sale-and-Lease-back-Modelle oder energetische Sanierungen auf Cashflow und Kapitalbindung aus? Wer seine Immobilie nur als Bilanzposten versteht, vergibt Chancen. Im Ratingkontext wird geprüft, ob das Asset nachhaltig tragfähig ist – und ob das Management Immobilieneffekte proaktiv steuert.

BOARD:

Welche typischen Fehler machen mittelständische Unternehmen bei der Bewertung oder Einordnung ihrer Industrieimmobilien im Rahmen von Planungsrechnungen oder Ratings?

Oliver Everling:

Ein weit verbreiteter Fehler ist, dass Industrieimmobilien pauschal mit Buchwerten oder veralteten Verkehrswerten angesetzt werden – ohne Berücksichtigung von Marktentwicklungen, Nutzungsrisiken oder ESG-Auflagen. Zudem wird häufig die wirtschaftliche Relevanz der Immobilie im Geschäftsmodell unterschätzt. Ratingagenturen wollen wissen: Ist das Gebäude flexibel nutzbar? Besteht ein Wiederverwendungsrisiko? Gibt es Altlasten oder Modernisierungsstaus? Wer hier keine fundierte Einschätzung liefert, signalisiert Unsicherheit – und das schwächt das Rating.

BOARD:

Inwiefern beeinflussen ESG-Kriterien die Bewertung und das Rating von Industrieimmobilien – auch im Mittelstand?

Oliver Everling:

ESG ist ein Gamechanger – auch im Immobilienbereich. Ein nicht-energetisch saniertes Produktionsgebäude mit hohem Energieverbrauch und ohne Nachnutzungsperspektive gilt zunehmend als risikobehaftet, sowohl im ökologischen als auch im finanziellen Sinne. Banken und Investoren fragen verstärkt nach Taxonomie-Konformität, Energiekennwerten und Modernisierungsplänen. Wer diese Anforderungen nicht kennt oder ignoriert, riskiert nicht nur ein schlechteres Rating, sondern auch eine eingeschränkte Finanzierbarkeit. ESG wirkt hier wie ein Filter – wer nicht durchpasst, bleibt außen vor.

BOARD:

Herr Dr. Everling, seit der Überarbeitung der ELTIF-Verordnung gelten European Long-Term Investment Funds als interessante Alternative zur klassischen Mittelstandsfinanzierung. Was macht diese Finanzierungsform so besonders – und wo liegen ihre Chancen für mittelständische Unternehmen?

Oliver Everling:

European Long-Term Investment Funds – kurz ELTIFs – wurden ursprünglich geschaffen, um privates Kapital in langfristige Investitionen wie Infrastruktur, Immobilien oder wachstumsstarke Unternehmen zu lenken. Für mittelständische Unternehmen bieten sie eine Möglichkeit, langfristiges Eigen- oder Mezzaninkapital zu erhalten, das nicht auf kurzfristige Rückführung ausgerichtet ist. Im Unterschied zum Bankkredit verlangt ein ELTIF kein starres Tilgungsprofil – wohl aber eine transparente Unternehmensplanung, strategische Klarheit und ESG-Fähigkeit. Wer also einen starken Entwicklungspfad hat – etwa bei Expansion, Digitalisierung oder Transformation – kann durch einen ELTIF genau das Kapital bekommen, das Banken heute nur noch restriktiv vergeben. Es ist eine partnerschaftliche Finanzierung mit strategischem Anspruch.

BOARD:

Wie verändert sich die Rolle der Planungsrechnung, wenn ein mittelständisches Unternehmen Kapital aus einem ELTIF aufnehmen möchte?

Oliver Everling:

Sie wird zur Eintrittskarte. ELTIFs investieren in Unternehmen, die ihre zukünftige Entwicklung konkret, konsistent und realistisch darstellen können – idealerweise über einen Zeitraum von fünf bis sieben Jahren. Das bedeutet: Die Planungsrechnung muss nicht nur operative Ergebnisse und Liquiditätsflüsse zeigen, sondern auch strategische Investitionen, ESG-Ziele, Expansionspläne und mögliche Exit-Szenarien beinhalten. Sie wird zur zentralen Kommunikationsplattform gegenüber dem Fonds – und letztlich auch gegenüber dem Kapitalmarkt. Ratingagenturen sehen in einer solchen Planung einen wichtigen Indikator für Finanzierungsfähigkeit, Professionalität und Risikobewusstsein.

BOARD:

Wird die Beteiligung eines ELTIFs im Unternehmensrating berücksichtigt? Wenn ja, in welcher Weise?

Oliver Everling:

Ja, definitiv. Eine Beteiligung durch einen European Long-Term Investment Fund kann das Ratingprofil positiv beeinflussen – vorausgesetzt, sie ist nicht als Notmaßnahme erkennbar, sondern eingebettet in eine glaubwürdige Wachstums- oder Transformationsstrategie. Ratingagenturen prüfen, wie das Kapital verwendet wird, ob es die Bilanzstruktur verbessert, ob es Investitionen ermöglicht oder finanzielle Risiken reduziert. Gleichzeitig fließt aber auch in die Bewertung ein, welche Verpflichtungen aus der Beteiligung entstehen: Gibt es Mitspracherechte, Exit-Erwartungen, Reportingpflichten? ELTIFs sind keine stille Beteiligung – sie wollen Wirkung. Aber wenn es gelingt, diese Beteiligung strategisch, planvoll und transparent einzusetzen, wird das Rating in der Regel stabilisiert oder sogar gestärkt.

BOARD:

Welche Voraussetzungen sollten mittelständische Unternehmen erfüllen, um ernsthaft als Ziel für einen ELTIF in Betracht zu kommen?

Oliver Everling:

Es gibt vier zentrale Voraussetzungen. Erstens: Ein skalierbares, zukunftsfähiges Geschäftsmodell, das auf langfristige Wertschöpfung ausgerichtet ist – also nicht bloß operative Stabilität, sondern Entwicklungspotenzial. Zweitens: Eine professionelle, integrierte Planung, die operative, finanzielle und ESG-bezogene Zielgrößen über mehrere Jahre konsistent darstellt. Drittens: Governance-Kompetenz, also klare Entscheidungsstrukturen, nachvollziehbare Prozesse und ein belastbares Berichtswesen. Und viertens – und das wird oft unterschätzt – eine bereite Führungsebene, die offen für Dialog, Beteiligung und strategische Partnerschaft ist. Denn ein ELTIF bringt nicht nur Kapital, sondern auch Erwartungen und Expertise mit.

BOARD:

Abschließend gefragt: Wenn Sie einem mittelständischen Unternehmer nur drei konkrete Handlungsempfehlungen für eine planungsbasierte Ratingverbesserung geben dürften – welche wären das?

Oliver Everling:

Erstens: Integrieren Sie Ihre Planung – Ergebnis, Bilanz und Liquidität müssen konsistent sein. Zweitens: Dokumentieren Sie Annahmen und machen Sie Planabweichungen sichtbar – das signalisiert Kontrolle. Drittens: Denken Sie in Szenarien und leiten Sie daraus konkrete Maßnahmen ab – das zeigt Risikobewusstsein. Wer diese drei Punkte erfüllt, ist nicht nur für das Rating gut vorbereitet, sondern auch für die Zukunft.

BOARD:

Herr Dr. Everling, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

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