Interview

EU-Taxonomie: Brückenbauer mit Erfahrung gefragt

Dr. Christian Danninger im BOARD-Interview mit Marc Tüngler

Seit dem 1. Januar 2022 greift die Berichterstattungspflicht nach der EU-Taxonomie-Verordnung für Unternehmen, die unter die CSR-Richtlinie fallen. Es wird europaweit für viele Unternehmen tatsächlich ernst in Sachen Environmental, Social und Governance (ESG). Klare Kriterien geben vor, welche taxonomiefähigen Umsatzerlöse, Investitions- und Betriebsausgaben für das Geschäftsjahr 2021 angegeben werden müssen. Die AIXTRON SE hat diesen Prozess in diesem Jahr erstmals erfolgreich durchlaufen und zusätzlich bereits als eines von wenigen Unternehmen freiwillig über die taxonomiekonformen Kennzahlen berichtet. Im BOARD-Interview mit Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz e.V. (DSW) und Mitglied des geschäftsführenden Vorstandes des Arbeitskreises deutscher Aufsichtsrat e.V. (AdAR), erläutert Dr. Christian Danninger, wie das Aachener Maschienenbauunternehmen die Umsetzung der EU-Taxonomie angegangen ist und letztendlich vollzogen hat. Dr. Christian Danninger ist Chief Financial Officer (CFO) der im MDAX gelisteten AIXTRON SE. In sein Vorstandsressort fallen neben Finanzen und Berichtswesen auch Personal, Corporate Governance & Compliance, Recht sowie die Verantwortung für Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (ESG). Darüber hinaus ist er verantwortlich für Investor Relations und Kommunikation.

Marc Tüngler: Herr Danninger, wurden Sie von der EU-Taxonomie in der bisher vorgelegten Form überrascht?Christian Danninger: Nein, natürlich nicht, wir haben die Entwicklung lange intensiv verfolgt. Mit der Einführung der EU-Taxonomie hat die Europäische Union erstmals einen objektiven Maßstab zum Vergleich der Nachhaltigkeit börsennotierter Unternehmen geschaffen. Wir begrüßen diese neue Metrik ausdrücklich, denn sie erlaubt es, die ökologische Nachhaltigkeit unseres Wirtschaftens objektiv zu messen.

Marc Tüngler: Die Vorgaben sind komplex. Wie geht man in einer Organisation so ein Thema an? Was waren die ersten Schritte?Christian Danninger: Wichtig ist zunächst die Verankerung des Themas auf Vorstandsebene. Als nächstes ist tatsächlich jede Menge Fleißarbeit gefragt. Wir sprechen von einem komplexen Regelwerk mit einigen hundert Seiten, verteilt über den Verordnungstext und diverse Anhänge. Es ist wichtig, dieses genau zu verstehen, um es auf das eigene Unternehmen anwenden zu können. Das fängt bei der Einordnung der Wirtschaftsaktivitäten an – unsere Aktivitäten finden sich unter dem NACE Code 28.99 „Manufacturer of other special purpose machinery n.e.c.“ – und endet bei den zu erstellenden, relevanten KPIs. Aufbauend auf diesem Verständnis haben wir eine klare Projektstruktur erarbeitet.

Marc Tüngler: Wie ist das Projekt dann in der Praxis gelaufen?Christian Danninger: Erstmal gar nicht. Wir hatten zwar genau verstanden, was gefragt ist, wir wussten, welche KPIs relevant sind und wie wir messen wollen. Und trotzdem ging es nicht recht voran. Erst die Idee, die im Rahmen eines Führungskräftetreffens geboren wurde, brachte den entscheidenden Durchbruch: Ein Kollege mit immenser Erfahrung in diversen Linienfunktionen, im Vertrieb und im Bereich R&D-Controlling, der sich dazu bestens mit SAP auskennt, sollte das Projekt übernehmen. Diese Kombination war erfolgsentscheidend. Es braucht jemanden, der das Verständnis für die EU-Vorgaben mit dem Geschäft, der Technologie und dem Unternehmen verbindet. Der Kollege hat nach Abschluss des Projekts dann auch konsequenterweise die neu geschaffene Position ESG & Sustainability Management übernommen.

Marc Tüngler: Was zeichnet den AIXTRON-Ansatz aus?
Christian Danninger: Als Unternehmen, das ganz stark von Innovationen lebt, kennen wir die Möglichkeiten neuer Technologien sehr genau. Unsere Produkte waren der inhaltliche Schlüssel zum Taxonomie Projekt. Sie erlauben unseren Kunden Produkte herzustellen, die erhebliche CO2-Einsparungen ermöglichen. Nehmen Sie beispielsweise die moderne Leistungselektronik auf Basis von Galliumnitrid (GaN) oder Siliziumkarbid (SiC), mit der im Vergleich zur traditionellen Technologie auf Basis von Silizium in erheblichem Maße Energie eingespart werden kann. Oder Micro LEDs, welche den Energieverbrauch von Displays im Vergleich zur etablierten LCD-Technologie um bis zu 90 % reduzieren – und das bei viel besserer Bildqualität!

Marc Tüngler: Und wie sind Sie dann konkret vorgegangen?
Christian Danninger: Wir haben die internen Prozesse analysiert und passgenaue Erfassungs-, Dokumentations-, Analyse- und Reporting Tools entwickelt. Anschließend wurde z.B. jede verkaufte Anlage in einer Einzelfallentscheidung anhand der zuvor entwickelten Kriterien von unseren internen Experten als konform oder nicht konform eingeordnet. Nach einem ersten Probelauf konnten wir etwaige Schwachstellen des Systems identifizieren und beheben, sodass der Echtlauf im Januar 2022 problemlos verlief.

Marc Tüngler: Welche Rolle spielen externe Berater und Wirtschaftsprüfer?
Christian Danninger: Ich bin fest davon überzeugt, dass neben dem Committment im Vorstand ein ganz tiefes Sachverständnis im Unternehmen geschaffen werden muss. Daneben halte ich eine enge Begleitung durch einen guten Wirtschaftsprüfer für sehr wichtig. Es geht darum, immer die Wesentlichkeit im Auge zu behalten und auch auf sehr dezidierte Fragen – Stichwort „Limited Assurance“ – vorbereitet zu sein.

Marc Tüngler: Welche Vorteile ergeben sich vielleicht sogar aus der Regulatorik?
Christian Danninger: Ich denke, wir haben aus der „Pflicht“, die EU-Taxonomie erstmals anzuwenden, eine „Kür“ gemacht und konnten als erster MDAX-Konzern und als eines von wenigen Unternehmen in Deutschland, bereits zum Ende des abgelaufenen Geschäftsjahres 2021 berichten, inwieweit unser Wirtschaften taxonomiekonform ist. Dabei konnten wir 57% unserer Umsätze, 39% unserer Investitionsausgaben und 76% unserer Betriebsausgaben, welche unsere R&D Ausgaben abbilden, als taxonomiekonform – und damit als ökologisch nachhaltig ausweisen. Zudem sind wir im Rahmen einer aktuellen Studie, die 4.000 mittelständische Unternehmen auf ihre Nachhaltigkeit untersucht hat, auf Platz 2 gelandet. Das sind tolle Erfolge. Und: Nachhaltigkeit spielt in der internen und externen Wahrnehmung eine immer wichtigere Rolle. Kandidaten stellen detaillierte Fragen zu unserem Nachhaltigkeitsbericht oder möchten wissen, was wir konkret für die Umwelt tun. Das ist in einem Geschäft, das von der Intelligenz der Menschen lebt, ein wichtiger Faktor.

Marc Tüngler

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