Interview

Effizienz im Aufsichtsrat - Von der Nachfolgeplanung zur Qualifikationsmatrix

Eine vorausschauende Nachfolgeplanung zählt zu den zentralen Aufgaben eines professionellen Aufsichtsrats. Sie sichert nicht nur die kontinuierliche Handlungsfähigkeit des Gremiums, sondern stellt eine zukunftsfähige Ausrichtung des Unternehmens und effektive Kontrolle des Vorstands sicher. Die Anforderungen an Aufsichtsräte steigen – umso wichtiger ist es, Kompetenzen gezielt aufzubauen, vielfältige Perspektiven zu ermöglichen und regulatorische Vorgaben einzuhalten. Angelehnt an einen kürzlichen AdAR-Lunchtalk hat BOARD dazu mit Dr. Daniela Favoccia und Prof. Dr. Peter Henning gesprochen. Dr. Daniela Favoccia ist Partnerin bei Hengeler Mueller, als Aufsichtsrätin in mehreren Aufsichtsräten aktiv sowie Mitglied der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex. Prof. Dr. Peter Henning ist Partner bei HEADSAHEAD, Vorsitzender des AdAR-Fachausschusses Effiziente Aufsichtsratsorganisation und auf die Beratung von Aufsichtsratsgremien spezialisiert.

BOARD:

Welche Aufgaben des Aufsichtsrats muss der Nominierungsausschuss im Laufe des Jahres vorbereiten?

Peter Henning:

In einem Ausschuss, am besten im Nominierungsausschuss sollten alle Fragen zur Aufsichtsratsbesetzung ausführlich und regelmäßig erörtert werden. Es reicht nicht, nur dann eine Sitzung einzuberufen, wenn ein Wahlvorschlag für Kandidatinnen und Kandidaten an das Plenum aufgrund der anstehenden Hauptversammlung abgegeben werden muss, da es eine anstehende Vakanz auf Seiten der Kapitalvertreter gibt. Denn für diesen Vorschlag sind umfassende Vorarbeiten erforderlich, insbesondere auch, damit die Investoren die bereits im Aufsichtsrat vertretenen und noch fehlenden Kompetenzen zuverlässig bewerten können. Bedingt durch geopolitische Veränderungen, die Nachhaltigkeitsgesetzgebung, die Einführung Künstlicher Intelligenz (KI) und drohende Verluste stehen zahlreiche Unternehmen aktuell vor großen Herausforderungen. Diese machen häufig eine Anpassung der strategischen Ausrichtung des Unternehmens notwendig. Um diese Anpassungen erfolgreich zu bewältigen, ist auch eine kompetentere Besetzung des Aufsichtsrats erforderlich.

Daher sollte sich der Ausschuss auch fortlaufend mit dem Kompetenzprofil sowie der Qualifikationsmatrix, der Besetzung der Ausschüsse, der Nachfolgeplanung, der regelmäßig durchzuführenden Effizienzprüfung und der Darstellung dieser Themen in der Erklärung zur Unternehmensführung im Geschäftsbericht befassen. Nur so ergibt sich ein rundes Bild und kann dem Plenum ein fundierter Vorschlag für die Hauptversammlung unterbreitet werden. Dafür sind mehrere Sitzungen im Jahresverlauf erforderlich.

BOARD:

Wie erfolgt eine effiziente Nachfolgeplanung und welche Rolle spielt dabei das Kompetenzprofil bzw. die Qualifikationsmatrix?

Daniela Favoccia:

Eine effiziente Nachfolgeplanung für den Aufsichtsrat sollte vorausschauend erfolgen. Wenn sich der Nominierungsausschuss erst dann Gedanken macht, wenn ein konkreter Anlass für eine Nachfolge besteht, ist es meist zu spät. Die Arbeit beginnt mit einer Analyse der strategischen Bedürfnisse und Herausforderungen des Unternehmens. Wo steht das Unternehmen heute? Was ist geplant? Steht ein transformativer Prozess bevor? Sind größere Akquisitionen erfolgt oder geplant? Verstärkt oder reduziert das Unternehmen seine internationale Präsenz? Gibt es Kompetenzlücken und drohende Vakanzen (z.B. infolge von Altersabgängen)? Bevorstehende Wechsel im Kreis der Ankeraktionäre sind auch zu berücksichtigen. Wenn man ein klares Bild von den Bedürfnissen hat, kann man ein passendes Kompetenzprofil erstellen. Die Marschrichtung wird so anhand objektiver, strategisch abgeleiteter Kriterien vorgegeben. Natürlich ist es dann am Ende auch noch wichtig, dass sich ein Gremium gut versteht und Sympathie und Teamgeist spielen dabei eine wichtige Rolle.

Die Aufgabe des Nominierungsausschusses hört mit der Besetzung einer Position aber nicht auf, sondern geht kontinuierlich weiter. Und hier kommt die Qualifikationsmatrix ins Spiel. Sie hilft beim Soll-/Ist-Abgleich. Der Nominierungsausschuss kann so feststellen, ob die definierten Kompetenzen auf- und ausgebaut wurden und tatsächlich vorhanden sind. Zusammenfassend kann man sagen: Weitsicht, ein gelebtes Kompetenzprofil und eine ernst genommene Qualifikationsmatrix sind Kernelemente einer effizienten Nachfolgeplanung.

BOARD:

Welche Lehren lassen sich aus der regulierten Industrie (insbesondere der Finanzbranche) ableiten?

Peter Henning:

Der Nominierungsausschuss eines Finanzinstituts hat aufgrund gesetzlicher Regelungen weitergehende und präzise formulierte Aufgaben. Eine Kernaufgabe ist die regelmäßige, mindestens einmal jährlich durchzuführende Bewertung der Struktur, Größe, Zusammensetzung und Leistung von Vorstand und Aufsichtsrat als Gremien sowie die Bewertung der Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrung der einzelnen Mitglieder beider Organe als auch des jeweiligen Organs in seiner Gesamtheit. Auch unterstützt er bei der Ermittlung von Bewerbern für die Besetzung einer Stelle im Vorstand, wobei er die Ausgewogenheit und Unterschiedlichkeit der Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen aller Mitglieder zu berücksichtigen und eine Stellenbeschreibung mit Bewerberprofil zu formulieren hat. Nachdem diese umfangreichen Vorgaben noch zu Beginn kritisch als Überregulierung angesehen wurden, haben sie sich in den letzten 10 Jahren in der Praxis bewährt und sind heute eine gute Richtschnur für eine erfolgreiche Nachfolgeplanung. Gut gefällt mir, dass der Nominierungsausschuss für beide Organe zuständig ist, was effizienter ist, als zusätzlich noch einen weiteren Personalausschuss zu etablieren. Im Übrigen werden in beiden Ausschüssen dieselben HR-Kompetenzen benötigt.

BOARD:

Welchen Einfluss haben Wahlperioden auf die Zusammensetzung des Aufsichtsrats und auf die Arbeit des Nominierungsausschusses?

Daniela Favoccia:

Die Wahlperioden im Aufsichtsrat haben einen direkten und weitreichenden Einfluss auf die Zusammensetzung des Aufsichtsrats und die Arbeit des Nominierungsausschusses. Sie geben dem Nominierungsausschuss einen zeitlichen Rahmen für die Nachfolgeplanung vor und beeinflussen maßgeblich, wie gezielt, frühzeitig und strategisch neue Kompetenzen in den Aufsichtsrat eingebracht werden können. Von der Wahlperiode hängt es zum Beispiel ab, wie rasch die Zusammensetzung verändert werden kann. Während die Wahlperioden in Deutschland traditionell das gesetzliche Maximum von 5 Jahren ausnutzten, sieht man in der Praxis heute zunehmend kürzere Amtszeiten (drei bis vier Jahre) und auch gestaffelte Amtszeiten (staggered board). Gerade letztere halte ich für ein probates Mittel der Nachfolgeplanung. Die häufigeren Wahlen bringen definitiv mehr Aufwand mit sich. Die Vorteile überwiegen aber meines Erachtens. So kann man vorhandenes Wissen und Erfahrung im Gremium erhalten und – ohne dass dies disruptiv wäre – den Aufsichtsrat kontinuierlich im Sinne der Unternehmensstrategie weiterentwickeln und auf zukünftige Herausforderungen ausrichten.

BOARD:

Könnte die Effizienzprüfung des Aufsichtsrats hier weiteren Mehrwert für den Nominierungsausschuss und Aufsichtsrat bringen?

Peter Henning:

Auf jeden Fall. Eine wesentliche Grundlage für den Besetzungs- und Nachfolgeprozess sollten die Ergebnisse der regelmäßigen Effizienzprüfung des Aufsichtsrats, wie sie im DCGK empfohlen wird, sein. Daher ist es m.E. notwendig, die richtigen Fragen und Themen im Nominierungsausschuss vorzubereiten, sich hier intensiv mit der Besetzung des Aufsichtsrats und seiner Ausschüsse auseinanderzusetzen und diese Themen auch in persönlichen Interviews im Rahmen der Effizienzprüfung konkret anzusprechen. Die Ergebnisse sollten sich dann auf diesen Vorarbeiten in einem aussagekräftigen Kompetenzprofil und einer an den Anforderungen des Unternehmens strukturierten Qualifikationsmatrix widerspiegeln.

Board:

Selbsteinschätzung oder Selbsttäuschung? Viele Aufsichtsräte bewerten ihre jeweiligen Kompetenzen als ausreichend. Wie realistisch sind solche Einschätzungen? Wie kann man Verzerrungen entgegenwirken?

Daniela Favoccia:

Die Selbsteinschätzung ist ein guter Start. Aber es gibt Wahrnehmungsverzerrungen (vor allem bei neuen Kompetenzen wie etwa beim Thema Nachhaltigkeit oder Digitalisierung gibt man sich anfangs mit weniger zufrieden und achtet nicht immer darauf, dass die Expertise auch tatsächlich aufgebaut wird) und auch Gruppendynamiken wirken sich aus („Das was X kann, kann ich allemal, also bin ich da auch ein Experte“). Es gibt aber Mechanismen, um mit diesen Herausforderungen der Selbstbewertung umzugehen. Auf alle Fälle braucht man eine klare Definition des Anforderungsprofils. Das kann ergänzt werden durch die Bitte an die Organmitglieder, ihre fachlichen Kompetenzen gegenüber dem Aufsichtsratsvorsitzenden oder dem Nominierungsausschuss darzulegen. Auch die Diskussion im Gremium kann helfen, Verzerrungen entgegenzuwirken. Man sollte auch darüber nachdenken, ob die Einholdung einer Outside-In-View möglich ist. Damit meine ich nicht notwendigerweise eine externe Validierung durch Berater (auch ich eine solche in bestimmten Abständen für sinnvoll erachte). Wichtige Impulse bekommt man auch, wenn man die Sicht des Vorstands mit einbezieht (wo fehlt diesem z.B. ein Sparringspartner) und auch ein Peer-Review kann fruchtbar gemacht werden (wofür steht ein Mitglied in den Augen der Co-Aufsichtsräte). Last but not least geben Governance Roadshows und ein Austausch mit Investoren wertvolle Hinweise und den Blick von außen.

Das Interview finden Sie neben den anderen vollständigen Artikeln im Archiv der BOARD 4/2025.

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