Interview

Neue Nachhaltigkeitsberichtspflicht – Was Aufsichtsräte jetzt wissen müssen

Marc Tüngler im Interview mit Prof. Kerstin Lopatta, Gabriele Bornemann und Prof. Alexander Bassen zu neuen Weiterbildungsangeboten im Bereich der Nachhaltigkeitsberichtserstattung

Transparenz durch die Anwendung der European Sustainability Reporting Standards (ESRS) kann dazu dienen, Chancen und Risiken früher zu erkennen, Innovationen zu fördern und Geschäftsmodelle zu transformieren. Aufsichtsratsmitglieder müssen jetzt Kompetenzen in der Entwicklung und Prüfung der neuen Nachhaltigkeitsberichtspflichten entwickeln. Prof. Dr. Kerstin Lopatta, Gabriele Bornemann und Prof. Dr. Alexander Bassen erläutern im Interview mit Marc Tüngler, Mitherausgeber der BOARD, ihre neue ESG-Kompetenz-Offensive.

BOARD:

Liebe Frau Professor Lopatta, liebe Frau Bornemann, lieber Herr Professor Bassen, vor wenigen Wochen haben Sie eine „ESG-Kompetenz-Offensive“ ins Leben gerufen. Was haben wir darunter zu verstehen?

Alexander Bassen:

Eine verpflichtende Nachhaltigkeitsberichterstattung für 15.000 Unternehmen allein in Deutschland ist eine Herausforderung für Vorstand und Aufsichtsrat. Die Unternehmensführung muss jetzt darauf vorbereitet werden, und zwar nicht im Überblick, sondern mit fundiertem Detailwissen, um Chancen und Risiken zu managen. Hierzu werden wir einen Beitrag leisten.

BOARD:

Was macht Ihr Angebot so besonders und einzigartig? Was machen Sie anders?

Gabriele Bornemann:

Wir sind anders, weil wir einen klaren Fokus setzen, und zwar auf die Reporting-Anforderungen im Bereich Nachhaltigkeit. Die ESRS sind ein Expertenthema für den Prüfungsausschuss und so ist es folgerichtig, dass unsere Trainings auch von den Experten gehalten werden, die die ESRS mit verfasst haben.

Kerstin Lopatta:

Bei uns gibt es nichts von der Stange. Unsere Ausbildung ist maßgeschneidert. Wir gehen auf unternehmensspezifische Besonderheiten ein und vermitteln unser über viele Jahre angesammeltes Wissen im Bereich Nachhaltigkeit.

BOARD:

Wie haben Sie in dieser Dreier-Konstellation zusammengefunden?

Gabriele Bornemann:

Meine Gesellschaft, die Management Alliance GmbH, ist zertifizierter Lehrgangsanbieter der Deutschen Börse AG und bereitet auf die Prüfung „Qualifizierter Aufsichtsrat“ vor. Prof. Dr. Kerstin Lopatta und Prof. Dr. Alexander Bassen unterstützen das Programm „Qualifizierter Aufsichtsrat“ bereits seit Jahren als Experten im Bereich Nachhaltigkeit. Für mich war es nun der logische Schritt, diese Partnerschaft weiter auszubauen. Die Vision der Management Alliance ist es, Aufsichtsräte zu unterstützen, die neue und vielleicht auch andere Perspektiven in Gremien einbringen wollen. Da kommt man an dem Thema Nachhaltigkeit nicht vorbei. Und wenn es um das Thema Nachhaltigkeit gehen soll, sind Kerstin Lopatta und Alexander Bassen die führenden Köpfe in Deutschland, die genau diese Vision der Management Alliance mit ihren Ansätzen unterstützen.

BOARD:

Woher kam der konkrete Impuls, ein solches Angebot ins Leben zu rufen?

Alexander Bassen:

Kerstin Lopatta und ich haben in den letzten Jahren und Monaten intensiv an der Entwicklung der Standards gearbeitet. Uns ist dabei bewusst geworden, dass der gesellschaftliche Anspruch der EU-Kommission oft mit der Unternehmensrealität kollidieren kann. Hier fühlten wir uns als erfahrene Hochschullehrende in der Pflicht, diese vermeintlichen Widersprüche mit einem maßgeschneiderten Trainingsprogramm aufzulösen. Hinzu kamen die zahlreichen Anfragen an die Management Alliance, ein spezialisiertes Training für das Top-Management anzubieten. Da lag es nahe, diese beiden Stränge zu verbinden.

BOARD:

Gibt es verschiedene Einheiten oder Kapitel der Schulung? Wie haben wir uns das konkret vorzustellen?

Kerstin Lopatta:

Wir haben einen modularen Aufbau aller Nachhaltigkeitsthemen gewählt, um das angesprochene maßgeschneiderte Programm anbieten zu können. Zentral sind dabei Antworten auf die Fragen: Was ist für das einzelne Unternehmen wesentlich? Welchen Einfluss hat die Wertschöpfungskette? Benötigt das Unternehmen eine Klimastrategie? Darauf aufbauend erarbeiten wir praxisorientiert mit vielen Beispielen und Fallstudien die jeweiligen Umwelt-, Sozial- und Governance-Standards gemeinsam mit den Teilnehmenden. Am Ende werden die Teilnehmenden ein klares Bild davon haben, was die verpflichtende Nachhaltigkeitsberichterstattung nach ESRS und ISSB für ihr Unternehmen bedeutet. Mitglieder des Aufsichtsrats werden wissen, welche Fragen sie dem Vorstand zu stellen haben, um ihrer Überwachungsaufgabe gerecht zu werden.

BOARD:

An wen richtet sich Ihr Angebot?

Gabriele Bornemann:

Mit dem Lehrgang ESRS-Reporting-Experte sprechen wir konkret Financial Experts und Mitglieder des Prüfungsausschusses an. Natürlich sind die Basiskenntnisse in ESRS auch eine allgemeine Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats selbst. Für diese Zielgruppe haben wir individuelle Gremienprogramme entwickelt, die konkret auf die Bedürfnisse der einzelnen Gremien eingehen.

BOARD:

Auf Ihrer Website kann man lesen, dass man als Aufsichtsrat die Wahl hat, nur Pflichten zu erfüllen oder auch Nachhaltigkeit zu gestalten. Wie dürfen wir das konkret verstehen?

Gabriele Bornemann:

Das Reporting steht natürlich in erster Linie für das Thema Transparenz. Die ESRS beinhalten aber auch konkrete methodische Empfehlungen. Genau hier setzen wir mit unserer Ausbildung an. Wir sind davon überzeugt, dass Transparenz durch die Anwendung der ESRS dazu dienen kann, Chancen und Risiken früher zu erkennen, Innovationen zu fördern und Geschäftsmodelle zu transformieren.

BOARD:

Bitte geben Sie uns hier ein, zwei Beispiele.

Alexander Bassen:

Die Wesentlichkeitsanalyse ist das Kernstück der Nachhaltigkeitsberichterstattung. Sie ist für alle Standards anzuwenden und zeigt auf, welche Nachhaltigkeitsthemen finanziell für das Unternehmen oder für die Gesellschaft materiell sind. Hier setzen sich Unternehmen z.B. damit auseinander, welchen Klimarisiken sie ausgesetzt sind, ob es Abhängigkeiten in der Lieferkette gibt und welche Rolle die Mitarbeitenden im eigenen Unternehmen oder bei den Zulieferern spielen. Einige Unternehmen werden jetzt sagen, dass sie das sowieso schon machen. Umso besser, denn dann können sie das jetzt in eine einheitliche Struktur der Berichterstattung überführen, um die Vergleichbarkeit für die Stakeholder zu verbessern.

BOARD:

Wie gut oder wie schlecht sehen Sie heute Aufsichtsräte beim Thema Nachhaltigkeit und Nachhaltigkeits-Reporting aufgestellt?

Gabriele Bornemann:

Bereits heute fallen rund 600 Unternehmen im Rahmen des CSR-RUG unter die Nachhaltigkeitsberichtspflicht. Aufsichtsräte dieser Unternehmen haben bereits heute einen guten Überblick zu den grundsätzlichen Aspekten der Nachhaltigkeit, die aber keiner verpflichtenden Struktur folgen. Mit der Einführung der ESRS wurden deshalb erstmals einheitliche Standards ins Leben gerufen, die für alle Aufsichtsräte neu sind. Berufliche Kenntnisse und Erfahrungen, so wie es der DCGK empfiehlt, kann aufgrund der Aktualität der Standards derzeit kein Aufsichtsrat haben. Diese Lücke kann man derzeit nur über Fort- und Weiterbildung schließen.

BOARD:

Welche Rolle hat der Aufsichtsrat Ihrer Ansicht nach in dem gesamten Themenkomplex? Ist es mehr der Rat oder ist es mehr die Aufsicht, die hier relevant ist?

Gabriele Bornemann:

Gerade im Themenkomplex der Nachhaltigkeit ist der Aufsichtsrat sowohl als ratgebender Experte als auch als Aufsicht gefragt. ESRS-Berichterstattung wird perspektivisch auf dem gleichen Niveau anzusiedeln sein wie die finanzielle Berichterstattung. Das zeigt sich schon daran, dass beides im Lagebericht offengelegt und durch den Wirtschaftsprüfer geprüft werden muss.

Kerstin Lopatta:

Damit ist eines klar: ESRS-Reporting ist ein Spezialistenthema, das zwingend bei den Financial Experts verortet werden sollte. Bei den strategischen Aspekten der Nachhaltigkeit bis hin zur Transformation sind Aufsichtsräte als Rat- und Impulsgeber gefragt. Hier geht es darum, die richtigen Weichen für die nachhaltige Entwicklung einer Gesellschaft zu stellen. Auch hierfür geben die ESRS zahlreiche Impulse durch eine Vielzahl von Themenbereichen vor.

BOARD:

Die Anforderungen im ESG-Umfeld werden für Aufsichtsräte immer komplexer. Ist es überhaupt noch möglich, dies im Gesamtgremium umzusetzen oder bedarf es zukünftig in jedem Unternehmen eines gesonderten ESG-Ausschusses?

Alexander Bassen:

Hier gehen die Meinungen auseinander. Letztlich werden Themen der Berichterstattung im Prüfungsausschuss vorzubereiten sein. Die strategischen Dimensionen gehören dann entweder in den Strategieausschuss oder ins Gesamtgremium. Zwingend ist jedoch, ausreichend Nachhaltigkeitswissen im Aufsichtsrat zu haben, um mit dem Vorstand auf Augenhöhe zu diskutieren. Langfristig wird es so sein, dass Nachhaltigkeitsberichterstattung zum Handwerkszeug jedes Aufsichtsratsmitglieds gehören wird.

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